MORGENDÄMMERUNG DER MODERNE

Aufgang zur Hamburger Kunsthalle, Januar 2024@ Archiv Anna Albrecht

Als wir die Haustür ins Schloss ziehen und das Eis von der Windschutzscheibe kratzen, ist es noch stockdunkel. Der Zeiger meiner Armbanduhr rückt auf 5.05 Uhr vor, unser Viertel liegt im tiefen Schlaf, nur gegenüber brennt Licht in der Küche. Schweigend fahren wir an vertrauten Häusern und Gärten vorbei, über leere Kreuzungen und blinkende Ampeln, um kurze Zeit später in Richtung Autobahn abzubiegen. Scheinwerfer, Rücklichter, körperlose Wesen, die durch die Nacht jagen. Atem holen, Gas geben, einfädeln. Der Motor brummt und wir gleiten durch die Finsternis, schwankend wie in einem Boot. Viel Raum für das, was vor uns liegt: Wir sind unterwegs zu einem runden Geburtstag: Caspar David Friedrich, der große Maler der deutschen Romantik feiert in in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag. Die Hamburger Kunsthalle startet in das Jubiläumsjahr, an dem fünf verschiedene Städte und Museen beteiligt sind, mit einer umfassenden Bilderschau zu Friedrichs Werk: über 60 Gemälde und rund 100 Zeichnungen hat man zusammengetragen unter dem Motto Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit. Mich beschäftigt dieser Titel Kunst für eine neue Zeit. Was hat es damit auf sich? Wer steckt hinter diesem Maler, der als Sohn eines Kerzenmachers in Greifswald zur Welt kam, in Kopenhagen studierte, die meiste Zeit seines Lebens in Dresden verbrachte und als Eigenbrötler, ja Menschenfeind galt?

Caroline Bardua: Caspar David Friedrich mit Trauerbinde, Alte Nationalgalerie Berlin @ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caroline_Bardua_-_Portr%C3%A4t_Caspar_David_Friedrichs_(1810).jpg

Was zieht uns an seinen Bildern so in den Bann? Sind es die ikonischen Rückenfiguren, die seit Jahrzehnten durch Medien und Werbung geistern? Oder sind es eher die stimmungsvollen Landschaften mit ihren Nebelschleiern, die Berge und Meere als magische Orte inszenieren?

Caspar David Friedrich, Der Morgen Tageszeitenzyklus, Niedersächsisches Landesmuseum Hannover @ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caspar_David_Friedrich_-_Tageszeitenzyklus,_Der_Morgen_(1821-22).jpg

Vielleicht ist es auch das schwermütige “Vokabular”, sind es die Schiffstrümmer, Ruinen und Gräber, die bis in unser Innerstes dringen, Sorgen und Sehnsüchte heraufbeschwören, von denen wir nicht einmal selbst gewusst haben?

Caspar David Friedrich: Spaziergang in der Abenddämmerung, Getty Museum Los Angeles @ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caspar_David_Friedrich_-_A_Walk_at_Dusk_-_Google_Art_Project.jpg

Solange ich denken kann, gehört Caspar David Friedrich zu den Künstlern, deren Bilderwelt überall anzutreffen ist. Sein Wanderer blickt über den Becherrand, schützt uns vor Regen, verschönert den Kühlschrank, das Schreibheft. Das war nicht immer so, gerade am Ende seines Lebens war Friedrichs Kunst fast in Vergessenheit geraten, unmodern geworden. Wiederentdeckt hat man ihn und seiner Malerei erst an der Wende zum 20. Jahrhundert. Seither hat sich einiges getan, inzwischen gilt Friedrichs Kunst als radikaler Neubeginn, als Aufbruch in eine neue Zeit. Daher der Titel der Hamburger Ausstellung.

Caspar David Friedrich, Wanderer über dem Nebelmeer, Hamburger Kunsthalle @ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ueber-die-sammlung-19-jahrhundert-caspar-david-friedrich-wanderer-ueber-dem-nebelmeer.jpg

Ich habe Friedrichs Werk nie akademisch betrachtet, gar ergründet. Für mich waren viele seiner Bilder Begleiter durch Jugend- und Schreibtischzeiten, wie selbstverständlich immer da. Irgendwann waren sie dann auch bei mir aus der Mode gekommen. Aber nun feiert ihr Schöpfer plötzlich einen runden Geburtstag und ich frage mich, wie begegnet man alten Freunden, die man aus den Augen verloren hat? Sind wir uns über die Jahre fremd geworden? Ist es überhaupt klug, alte Freunde auf einer überlaufenen Geburtstagsparty zu treffen?

In diesem Moment lüftet die Nacht vor meiner Windschutzscheibe ihren Schleier und die Sonne übernimmt die Regie. Von einer Sekunde auf die andere verwandelt sie den Himmel in ein Gemälde á la Friedrich und zwar mit allem, was die Palette der Morgendämmerung hergibt, Rot, Orange, Gelb.

Morgendämmerung auf der A7 im Januar 2024, Archiv Anna Albrecht

Dunst zieht über die Wiesen und die kahlen Winterbäume huschen vorüber, verschwimmen zu Schattenrissen vor roter Kulisse. Mehr Friedrich geht nicht und das mitten auf der Autobahn. Ja, selbst die Flügel der Windräder, die jetzt aus dem Nebel steigen, sind ein poetischer Gruß. Trotzdem stören sie irgendwie meine Vorstellung von einer „friedrichesken“ Gemälde – warum eigentlich, wenn Friedrich so „modern“ ist, wie immer behauptet wird?

Morgendämmerung auf der A7@ Archiv Anna Albrecht

Wir sind schneller in Hamburg als gedacht, die Geburtstagsfeier ist weniger überlaufen als befürchtet und die Fülle an zusammengetragenen Zeichnungen und Gemälden aus Friedrichs Werk ist einfach umwerfend, die Präsentation auch. Wie im Rausch wandle ich von Raum zu Raum, treffe alte Freunde und entdecke neue, keine Spur von Entfremdung oder Ermüdung. Und dann komme ich um die Ecke und muss unwillkürlich den Atem anhalten. Denn er füllt den ganzen Raum aus.

Caspar David Friedrich: Mönch am Meer, Berlin Alte Nationalgalerie @ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caspar_David_Friedrich_-_Der_M%C3%B6nch_am_Meer_-_Google_Art_Project.jpg

Der Mönch am Meer. Schon wegen seiner Größe ist das Gemälde aus der Alten Nationalgalerie in Berlin beeindruckend, aber mich zieht noch mehr die Farbigkeit in ihren Bann. Sie hat Sogwirkung: strahlt aus der Tiefe in die Weite, mit Übergängen, die so fließend und zart gestaltet sind als hätten wir es mit einem Aquarell zu tun. Das aus der Nähe zu erleben, ist einfach großartig und wie immer lautet die Erkenntnis: keine Abbildung kann das Original ersetzen.

Der Mönch am Meer gilt als das markanteste Beispiel für Friedrichs Aufbruch in die “Neue Zeit”, dabei wird mehr das Wie und weniger das Was betrachtet. Endlos dehnen sich Strand, Meer und Himmel zu allen Seiten aus, die Grenzen des Bildraumes werden hier erstmals aufgehoben. Das ist ebenso radikal, wie der Verzicht auf alle Details, die unerhörte Leere im Bild. So spielt der Mensch nur eine kleine Rolle im großen Schauspiel der Natur, die sich hier auf ihre wesentlichen Elemente beruft: Erde, Wasser, Luft. Im Mönch am Meer wachsen Maler und Natur über sich selbst hinaus geradewegs in die neue Zeit hinein.

Caspar David Friedrich: Mondaufgang am Meer, Berlin Alte Nationalgalerie @ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caspar_David_Friedrich_-_Mondaufgang_am_Meer_-_Google_Art_Project.jpg

Während auf dem Berliner Gemälde Wind und Wellen rauschen, die Möwen kreisen uns kreischen, geht es auf den meisten anderen Bildern Friedrichs still, fast reglos zu, die Stimmung ist unwirklich. Und der Mensch nimmt meist die Rolle des Zuschauers ein, ist Betrachter der Natur, selten ihr Akteur.

Friedrich, der in einem Zeitalter lebte, wo Wissenschaft und Technik die Welt grundlegend zu verändern begannen, vertieft sich in seiner Malerei in das, was unverhandelbar ist: die Macht der Natur, ihr Kreislauf. Dem ist der Mensch ausgeliefert, er kann weder den Wind bändigen noch die Gezeiten regeln, nicht Regen, Schnee oder den Lauf der Sonne lenken, die Natur ist und bleibt für ihn unverfügbar. Was für eine aktuelle Botschaft! Und mir scheint es so, als ob sich gerade in der magischen Stille die Kraft der Natur versteckt - sie geht tiefer als die wirklichkeitsgetreue Darstellung von Gewitter und Sturm. Wen wundert es da noch, dass der Maler, der zwar tagelang durch die Natur streifte, Felsen, Formationen und Vegetation haarklein skizzierte, seine Landschaften im Atelier entwarf, mit dem inneren Auge und in aller Ruhe. Friedrich erfand seine Landschaften neu. Und vielleicht ist es das, was ihren Zauber bis in die Gegenwart trägt. Caspar David Friedrichs Erfindungen erblassen jedenfalls nicht so schnell wie es die Morgendämmerung vor meiner Windschutzscheibe tut.

Morgendämmerung auf der A7 @ Archiv Anna Albrecht 2024

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VON DEM UNGEBETENEN “ZWISCHEN–DEN-JAHREN–GAST”