LÜBECK: INSELRUNDE TEIL II

Lübeck Altstadt Stimmungsvoll

Lübeck 2019 © Archiv Albrecht

Da ich nun so viel Zeit mit dem Stöbern in den Tiefen der Lübecker Geschichte verbracht habe, widerstehe ich den Verlockungen „Fräulein Brömses“. Aber ich lege euch das Café im Schatten des Burgklosters sehr ans Herz. Im Namen der klugen Äbtissin (Adelheid lenkte das Johanniskloster sicher durch die Wirren der Reformation) bekommt man hier Heißgetränke mit Milchschaum aus den Bohnen des Lübecker Kaffeehauses in der Hüx, einfach köstlich! Wichtig ist doch nur, dass so die Erinnerung an die große Lübecker Tochter nicht einfach verduftet.

Lübeck Altar

Rechter Flügel des Brömbse-Retabels (1515) aus der gleichnamigen Kapelle in St. Jakob: Elisabeth Brömbse mit ihren Töchtern, darunter Adelheid in der Tracht der Äbtissin. © https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/bc/HBroemsedaughters.jpg Bildautor: Concord 2010 (Ausschnitt verändert u. Farbe bearbeitet)

Heute geht es für mich schnurstracks weiter an die Untertrave. Dort lenke ich meine Schritte nach links in Richtung Süden. Vorbei an einem beliebten Platz vor allem der Einheimischen, das ist die neue Wassertreppe an der Drehbrücke, vorbei am alten Museumshafen und vorbei an den Straßenfluchten der Engels-, Fischer- und Bäckergrube. Übrigens trifft man in der Engelsgrube nicht etwa auf die geflügelten Himmelsboten, sondern der Name bezieht sich auf die Schiffe, die in diesem Abschnitt des Hafens anlegten und im Englandhandel verkehrten. Entsprechend fußläufig wohnten die Händler – in der Engelsgrube eben.

Lübeck Altstadt

Engelsgrube 2007 © Archiv Albrecht

Schließlich biege ich in die Alfstraße ab. Genau wie die Gruben steigt auch diese Straße vom ehemaligen Hafen an der Untertrave den Hang in Richtung St. Marien und Marktplatz an. Hier befinden wir uns jetzt mitten im ältesten Siedlungsgebiet von Lübeck. Aber wo steckt hier das Mittelalter? Neugierig schaue ich mich im sogenannten Gründerviertel um und dann fällt es mir wieder ein: Richtig, dieses Viertel zwischen St. Marien und der Untertrave war im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden und nach dem Krieg gleich wieder aufgebaut worden. Aber einige Jahrzehnte später entschloss man sich dazu, diesem Quartier ein ganz neues Gesicht zu geben – mit Häusern, die Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Gastronomie unter einen Hut bringen sollen, und zwar auf kleinteiligem Grundriss in Anpassung an die alte Lübecker Wohnstruktur. Ein städtebauliches Modellprojekt, das, so hat es jedenfalls den Anschein, dem verlorenen Bestand eine Stimme und dem Neubau seinen Freiheit gewährt. Natürlich braucht es jetzt noch ein bisschen Patina.

Lübeck Vogelperspektive

Blick auf das Gründerviertel 2023 © Archiv Albrecht

Und dann stehe ich plötzlich vor den himmelsstürmenden Türmen der Marienkirche. Dahinter verbergen sich das hohe Mittelschiff und natürlich der edle Chor – Backsteingotik vom Feinsten! Jahrhundertelang war St. Marien die Hauptkirche des Lübecker Rats, ein Zeichen seiner politischen Macht. Denn die wohlhabenden Ratsherren füllten auch die Kapellen der Kirche mit Kunstwerken – kostbare Skulpturen und Gemälde als fromme Stiftungen für das Seelenheil und als Schaufenster ihres Reichtums. Und gleich nebenan übten die Ratsherren ihre politische Macht aus, ebenfalls im prächtigen Rahmen des Rathauses. Das Bauwerk mit seiner hohen Fassade, die für den Wind besondere Schlupflöcher bereithält, wurde mehrfach umgebaut und erweitert, es hatte ja viele Aufgaben zu erfüllen. So war es bei Rathäusern damals gang und gäbe. Hier wurde getagt und Recht gesprochen sowie Luxusware verkauft. Vor versammelter Bürgerschaft verkündete man die neuesten Verordnungen.

Lübeck Altstadt

Lübeck, Gründerviertel und St. Marien© Archiv Albrecht 2023

Aber jetzt nochmal zurück zur Marienkirche: Sie spielte nicht nur eine bedeutende Rolle in der Lübecker Gesellschaft, sondern sie war auch Betroffene in einem der dunkelsten Kapitel unserer Weltgeschichte. „Palmarum 1942“ lautet das Schlagwort, unter dem die Schrecken der Lübecker Nacht vom 28. März auf Palmsonntag, den 29. März zusammengefasst werden. Damals ließen britische Flieger rund ein Fünftel der Stadt in Flammen aufgehen: Menschen starben, Häuser brannten aus und einige Kirchen verloren im flächendeckenden Bombenhagel ihr jahrhundertealtes Gedächtnis, so auch St. Marien. Allein 36 der alten Tafelbilder und Skulpturen gingen in dieser Nacht verloren, darunter die berühmte Totentanzorgel, auf der wohl auch Johann Sebastian Bach gespielt hatte. Bei meinem Rundgang durch die Kirche zieht es mich heute wie magisch zu der Kapelle unter dem Südturm. Dort liegen die Glocken, die in der Brandnacht 1942 herabstürzten und für immer verstummten. Ihr Anblick ruft bei mir die Bilder von Krieg und Zerstörung auf. Wie aktuell dieses Thema ist und ich ahne, dass meine Gänsehaut nicht von der Kühle in der Kirche herrührt. Wie gut es da tut, wieder ins Freie zu kommen und auf dem nur wenige Schritte entfernten Marktplatz in das Gewimmel der Menschen einzutauchen. Nicht mehr daran denken zu müssen, wie von einem Moment auf den anderen das Leben zerstört wird.

Krieg Lübeck

Lübeck, Südturm, Glockensturz © https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b1/Germany_Luebeck_St_Mary_melted_bells.jpg, Bildautor: Arnoldius 2006

Wie Kriege von einem Moment auf den anderen in den Lebensalltag einbrechen, davon erzählt übrigens auch ein außergewöhnlicher Fund aus der Alfstraße. Hier entdeckte man bei Grabungen 2021 eine Nusstorte nebst Kaffeeservice. Beides stand wohl bereit für den Palmsonntag, dann zerstörten Bomben das Haus und den Traum von sonntäglicher Kaffeestunde. Aber die Torte überlebte wie durch ein Wunder, geschrumpft und verkohlt zwar, aber ganz und gar erhalten und noch dazu kunstvoll verziert.

Lübeck St. Marien

Lübeck, St. Marien u. Rathaus © Archiv Albrecht 2023

Während ich mich von der Menge treiben lasse, frage ich mich, ob das dichte Gedränge und Sprachengewirr früher auch so gewesen ist? Ich werfe noch einen Blick zurück auf das geborgene Ensemble von Markt, Rathaus und Kirche, aber dann laufe ich zügigen Schrittes weiter über die breite Kreuzung in Richtung Dom.

Da stellt sich mir der nächste Kirchturm in den Weg, bringt mich auf eine glänzende Idee. Nur wenige Minuten später stehe ich auf der Aussichtsplattform von St. Petri.

Lübeck Dom

Lübeck, Dom © Archiv Albrecht 2023

Der Rundumblick ist einfach umwerfend! Dabei wusste ich doch, dass Lübeck aus der Vogelperspektive punktet wie kaum ein anderer Ort! Es ist die atemberaubende Lage der Stadt auf der Insel – umgeben von Wald, Wasser und der Weite eines tiefergelegten Himmels.

Lübeck St. Ägidien

Lübeck, St. Ägidien © Archiv Albrecht 2023

Es ist aber auch dieser Grundriss, der mich nach Luft schnappen lässt: die Geschlossenheit der Häuserreihen mit ihren gestuften oder geschwungenen Backsteingiebeln. Wie kostbare Perlen an einer Schnur klettern sie die Straßen von der Traveseite auf die Anhöhe und hangeln sich zum Kanal auf der anderen Seite wieder hinunter.

Lübeck Altstadt

Lübeck, Große Petersgrube © Archiv Albrecht 2023

Lübeck Altstadt

Lübeck, Große Petersgrube © Archiv Albrecht 2023

Mir kommt es so vor, als hätten die Häuser eigentlich nur ein Ziel vor Augen – die Anhöhe zu erklimmen, auf der ihre Kirche liegt. Ihrerseits wacht St. Marien über die Häuser wie eine Glucke über ihre Küken. Was für eine Nestwärme die Beziehung ausstrahlt, unglaublich! Selbst das Rathaus verschwindet in der kräftigen Umarmung der Kirche. All das und noch viel mehr gibt der Blick von oben preis, beflügelt die Fantasie – schön höre ich aus den Schluchten der Stadt das Rattern der Fuhrwerke und Hämmern der Handwerker. Wenn da nicht der Lärm der Moderne wäre: Lübeck ist keine Puppenstube, sondern ein gewachsener Ort, an dem ständig herumgebaut wird. Hier treffen Altes und Neues, Hässliches und Schönes, Lautes und Leises aufeinander und lassen einen staunen.

Lübeck St. Marien

Lübeck, St. Marien u. Rathaus © Archiv Albrecht 2023

Nur dem berühmtesten Wahrzeichen der Stadt, dem liebenswürdigen Holstentor, hätte ich ein bisschen mehr Frieden und weniger Abgase gegönnt.

Holstentor

Lübeck, Holstentor © Archiv Albrecht 2023

Da reißt mich plötzlich das Klingeln eines fremden Handys aus den Gedanken und erinnert mich daran, dass ich eigentlich eine Schreibtischflüchtige bin, die heute noch einiges zu erledigen hat. Aber der verstohlene Blick auf mein Handy verrät mir, dass meine Gastgeberin sich noch immer nicht gemeldet hat – gestohlene Zeit für den Weg zum Dom.

Lübeck Altstadt

Lübeck, Obertrave © Archiv Albrecht 20232

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