LÜBECK: INSELRUNDE TEIL I VOM BUDENZAUBER IM MITTELALTER

Lübeck Altstadt

Blick von oben auf die Große Petersgrube in Richtung Obertrave

Immer wieder wandert mein Blick über den Bildschirm auf die Landschaft vor meinem Fenster – sonnenwarme Ziegeldächer, farbig verputzte Backsteinmauern und in der Ferne Kirchturmspitzen, die den Himmel kitzeln. Kein Wunder, dass er unverschämt gut gelaunt ist, dieser weite norddeutsche Himmel, an dem kein Wölkchen das heitere Blau trübt. Lübeck in Bilderbuchstimmung, das ist eine echte Versuchung, wenn man eigentlich arbeiten soll. Da poppt plötzlich ein Fenster auf meinem Bildschirm auf und meldet: „Ohne Stromzufuhr aktiviert dein PC bald den Ruhezustand!“ Himmel, wo ist denn bloß mein Kabel? Ich wühle durch Tasche und Koffer, aber es hat offenbar Beine bekommen. Da fällt mir siedend heiß ein, wie meine Gastgeberin und ich am Abend zuvor noch über unser identisches Equipment gewitzelt haben – von wegen Verwechslung und so. Vielleicht hat sie das Kabel heute Morgen eingesteckt als sie eilig zur Arbeit fuhr? Flink schicke ich ihr eine Nachricht. Zwischen ihren Terminen wird sie sicher mal aufs Handy schauen, aber die Zeit vergeht und die Nachricht bleibt ungelesen. Erst bin ich ziemlich genervt, fühle mich von höheren Mächten ausgebremst, aber dann verstehe ich plötzlich den Wink des Himmels: Lübeck bei diesem Wetter ist ein Geschenk - für mich und meinen Reiseblog – nur eine blutige Anfängerin bliebe jetzt noch am Schreibtisch sitzen.    

Lübeck Altstadt

Lübecker Altstadt

Zehn Minuten später stehe ich am Burgtor mit einem getauschten Programm für diesen Tag. Statt Recherche für das neue Buch zu betreiben, tauche ich nun in die Lübecker Altstadt ein: eine Runde um die Altstadtinsel ist angesagt und hier im Norden geht es los. So wie damals, als die Slawen hier ihre erste Burg (Buku) errichteten. Bis Lübeck an der heutigen Stelle gegründet wurde, gingen aber noch ein paar Jahrhunderte ins Land. Bis im 12. Jahrhundert ein Graf auftauchte und die Sache in die Hand nahm – Adolf II. von Schauenburg und Holstein. Er brachte die Siedlung auf der Halbinsel zwischen Trave und Wakenitz so richtig in Schwung. Denn der Platz war perfekt gewählt: geschützt im Hinterland, doch nahe der Ostsee und dazu noch erschlossen über einen alten Handelsweg. Kein Wunder, dass Adolf II. prompt in Streitigkeiten mit seinem Lehnsherrn geriet, dem mächtigen Sachsenherzog Heinrich dem Löwen. Der mächtige Herrscher hatte eifersüchtig beobachtet, wie Adolfs Siedlung an der Trave aufblühte und machte Ärger. Gegen seine Übermacht konnte der Graf nichts ausrichten und schließlich übernahm der Sachsenherzog das Ruder. Er gründete Lübeck aufs Neue, ganz systematisch, mit einem neuen Hafen an der Untertrave, neuen Siedlern, denen er den “Himmel auf Erden” versprach (mit anderen Worten, er verlieh ihnen alle nötigen Rechte, um tüchtig Handel zu treiben) und er schloss kluge Verträge ab, mit Schweden, Gotland und Nowgorod.

Burgtor Lübeck

Blick auf das Burgtor von der Innenstadt her gesehen

Nun legte Lübeck eine rasante Karriere hin, stieg zum Dreh- und Angelpunkt des Nord- und Ostseehandels auf. Natürlich profitierte Heinrich von diesem Reichtum, denn die Kaufleute zahlten hohe Abgaben an ihren Stadtgründer. Zu guter Letzt verlegte der Herzog auch noch das Bistum von Oldenburg nach Lübeck und gründete den Dom, aber davon erzähle ich später. Auf jeden Fall ging Lübeck als Königin der Hanse in die Geschichtsbücher ein und es versteht sich von selbst, dass die Fernhändler des berühmten Wirtschaftsbundes auch zum ersten Mal im Lübecker Rathaus zusammentraten, das war 1356. Im Hafen liefen die Koggen ein und aus, es rollten die Fässer, Ballen, Münzen und die Ware wechselte fleißig ihre Besitzer: edle Pelze und Bienenwachs aus dem Nordosten gegen Tuche, Wein und Metallwaren aus dem Südwesten, Salz kam aus Lüneburg, Hering aus Schonen – als Fastenspeise war der Fisch heiß begehrt und wurde bis nach Südeuropa transportiert.

Hanse Kogge

Kraweel (Nachbau) Lisa von Dräger, sie lief 2002 vom Stapel und liegt hier an der Untertrave vor Anker

Es war der Warenumschlag, der Lübeck “steinreich” machte. Denn die Kaufleute konnten es sich nun leisten, ihre Häuser in Stein zu errichten, damit waren sie besser vor Brand und Stürmen geschützt. Aber woher nahmen sie den Stein in einer Gegend, die über keine natürlichen Hausteinvorkommen verfügt? Ganz einfach, sie bauten den Ton aus den Gruben ab, formten ihn zurecht und schoben ihn anschließend in den Ofen. Fertig war der Backstein und schön sah er obendrein auch aus. Das gefiel dem Lübecker Kaufmann und alsbald war der Backsteinbau hier oben sehr in Mode. Und als die Lübecker Halbinsel aus allen Nähten zu platzen drohte, bebaute man eben die Innenhöfe der blockweise erbauten Stadt. So entstanden jene schmalen und niedrigeren Häuserreihen, die sogenannten Buden. Sie waren nur durch einen Gang zwischen den Vorderhäusern zu erreichen . Hier, in der zweiten Reihe, wohnten übrigens die etwas weniger wohlhabenden Familien. Von diesen Gängen und Höfen haben rund 80 bis zum heutigen Tag überlebt. Sie machen heute den besonderen Charme der Lübecker Altstadt aus. Denn es sind stille Wohnorte mitten in der quirligen Stadt am Wasser, verborgen hinter dunklen Toren und schmalen Gängen. Als Gäste müssen wir unsere Neugier zügeln, denn es sind eng bebaute und bewohnte Räume, die wir wie ein Wohnzimmer betreten, wenn wir durch einen dieser Gänge gehen. Viele dieser verwunschenen Orte sind deswegen nur zu bestimmten Zeiten oder überhaupt nicht zugänglich. https://www.luebeck.de/de/stadtleben/tourismus/luebeck/sehenswuerdigkeiten/gaenge-und-hoefe/index.html

Gang in Lübeck

Lübeck, Handelsgang, Schlumacherstraße

Es ist ein einzigartiges Guckloch in die Zeit des Mittelalters, das sich Lübeck mit seinen Gängen und Höfen bewahrt hat. Und übrigens auch eines der Gründe, weshalb Lübeck seit 1987 den Welterbetitel der UNESCO trägt. https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/hansestadt-luebeck

Lübeck Altstadt

Lübeck, Füchtingshof, Glockengießerstraße

Wer mehr über den Alltag eines Lübecker Kaufmanns im Kontor, über seine Familie erfahren möchte – woran er glaubte, was er fürchtete, wie er über die Meere segelte und seine Geschäftspartner überlistete, der wird im Hansemuseum fündig. Das moderne Museum liegt am geschichtsträchtigen Ort gleich zwischen Burgtor und Burgkloster an der Untertrave und bietet anschauliche Einblicke in die große Zeit, als Lübeck die Königin der Hanse war. https://www.hansemuseum.eu

Hanse Museum

Europäisches Hansemuseum An der Untertrave 1

Wer noch mehr über die Stadt Lübeck erfahren möchte, über kleine Geheimnisse und große Ereignisse, beliebte Plätze und stille Winkel, der folge mir in den nächsten Wochen auf diesem blog. 

Lübeck Hafen

Blick vom Behnkai auf die Untertrave

Ich grüße Euch herzlich vom Lübecker Reiseschreibtisch.

Lübeck Morgenstimmung

© Hansemuseum https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/50/Europäisches_Hansemuseum_2015.jpg/660px-Europäisches_Hansemuseum_2015.jpg alle anderen Fotos sind aus dem Archiv der Autorin

Alle Fotos, soweit nicht anders vermerkt, aus dem Archiv der Autorin.

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